An diesem Abend muss man etwas Besonderes machen, man muss feiern. Was eigentlich? Feiert man, dass das verhasste Jahr nun endlich vorbei ist? Feiert man die Vorfreude auf ein neues Jahr, welches man dann wiederum zu hassen beginnt, um am 31. Dezember des neuen Jahres dann auch wieder feiern zu können, dass es dann endlich vorbei ist? Keine Ahnung, nicht mal wehmütig werde ich an Silvester. Und die Knallerei macht mir seit bestimmt zehn Jahren schon keinen Spaß mehr. Nee, ich fang jetzt nicht an mit „Brot statt Böller!“, Brot knallt nicht und sieht auch nicht so gut aus, wenn man es in den Nachthimmel schießt. Es erzeugt schon einen unangenehmen Druck, wenn man im Dezember von Hinz und Kunz gefragt wird, was man denn Silvester vorhabe. Ähm…Silvester, ach…jo, das is ja bald…ähm…keinen Schimmer, ich hab noch gar nicht drüber nachgedacht. Und dann fängt man an nachzudenken. Und denkt und denkt. Was zu nichts führt. Denn es fällt einem einfach nichts Gescheites ein. Am liebsten würde ich Silvester in der Karibik verbringen, nachts nackt schwimmen, mit einem halben Liter Tequila im Blut, um mich rum nackte Schönheiten und eine tolle Strandparty in Hörweite. Aber nun ja, wollen wir mal realistisch bleiben. Also fragt man im Freundeskreis rum, und denen geht’s bei dieser Frage dann ganz genauso wie einem selbst, ja…öhm…hm…noch gar nicht drüber nachgedacht…was meinst du denn? Und man hat den Druck weitergegeben, wie einen Stab beim Staffellauf. Und der Stab wird dann im kompletten Bekanntenkreis einmal rumgereicht, und landet letztlich wieder bei einem selbst.
Keiner hat Lust ne Party zu organisieren, niemand mag diese Abende an denen man gemeinsam kocht und dann irgendwelche Gesellschaftsspiele spielt, die erst mit 1,6 Promille im Blut wirklich lustig werden (was wäre mit 1,6 Promille im Blut nicht lustig?), niemand will in die Kneipe um die Ecke, weil’s da schon letztes Jahr so Scheiße war, und dann muss man das mit der Fahrerei klären, Taxis gibt’s in dieser Nacht ja keine. Dann werden plötzlich doofe Veranstaltungen ausgegraben, wo man niemanden kennt, niemanden kennen lernen will, teure Buffets bezahlt, die man nie zu Gesicht bekommt, auf denen man erst sein halbes Monatsgehalt loswird, bevor man angetrunken sein darf, am besten noch in Anzug und Krawatte („Garderobe bitte dem Anlass entsprechend!“). Wenn ich in entsprechender Garderobe käme, würde ich mich vermutlich als Dixi-Toilette verkleiden. Spül es runter, das verdammte vergangene Jahr! Ja, Silvester haben die Leute ausgefallene Ideen: Nach Berlin zum Brandenburger Tor, um sich dort mit Raketen beschießen und mit Sektflaschen bewerfen zu lassen, oder nach Hamburg an die Landungsbrücken, um sich dort mit Raketen und Sektflaschen beschießen und bewerfen zu lassen, oder nach Köln auf die Deutzer Brücke, um sich dort mit Raketen beschießen und mit Kölschflaschen bewerfen zu lassen.
Ein Freund antwortete mir per E-Mail auf die berühmte „Silvester-Frage“, dass er sich die ZDF-Gala zuhause vorm Fernseher ansieht. Das nenn ich mal "Druck gar nicht erst annehmen". Am liebsten würde ich den ganzen Nonsens verschlafen, was aber nicht geht, weil’s ja um Mitternacht so schrecklich laut überall ist. Vielleicht doch „Brot statt Böller“, das macht wenigstens keinen Krach.